Diskriminierung in Langenfeld und Monheim
Ohne Online kein Zugang – so wird ausgegrenzt
Monheim/Langenfeld · „Ich bin alt, aber kein Idiot“ – seit der erfolgreichen Kampagne eines Spaniers gegen Online-Banking ist die Diskriminierung von Menschen, die sich mit Smartphone und Co. schwertun, auch hierzulande vermehrt ein Thema. Zwei aktuelle Beispiele aus Langenfeld und Monheim.
von Thomas Gutmann (Rheinische Post – 29.6.2023)
„Ohne Krimi geht die Mimi nichts ins Bett“, sang Bill Ramsey im Sommer 62. Und ohne Online-Ticket kommt die Mimi 61 Jahre später nicht ins Freibad in Langenfeld. Jedenfalls zurzeit, jedenfalls nicht werktags vormittags.
Im Sommer 2023 steht der Langenfelder, wenn er sich spontan zu einem Freibad-Besuch entschieden hat, vor einem Aufsteller. „Tickets“ steht groß auf dem Plakat, darunter ein dicker, in Richtung Kassenhäuschen zeigender Pfeil, dann das Kleingedruckte: „Verkauf von Tickets über die Kasse Mo-Fr 14-16 Uhr, Wochenende 10-16 Uhr“.
Ein Hinweis auf einen Kassenautomaten findet sich nicht auf dem Schild, denn einen solchen gibt es zurzeit nicht. Noch nicht, wie die Stadtbad-Betreiberin SGL bedauert: Lieferschwierigkeiten. Nach Umstellung auf das neue Online-Buchungssystem musste ein neuer her, doch der soll erst im Laufe des Juli kommen.
Deshalb riet SGL-Sprecherin Kristin Erven-Hoppe bereits vor zwei Wochen in der RP zur Online-Buchung unter www.sglangenfeld.de. „Am besten kauft man die Tickets von zu Hause aus, schon allein wegen der notwendigen Bezahlfunktion“, sagte Erven-Hoppe. Dann braucht der Badegast am Einlass nur noch Handy oder Ausdruck vorzuzeigen, und ab geht‘s.
Offline-Tickets fürs Langenfelder Freibad gibt‘s hier – aber zuverlässig nur werktags zwischen 14 und 16 Uhr und am Wochenende zwischen 10 und (inzwischen) 16 Uhr. Immerhin: Der Automat soll im Juli kommen.
Foto: Thomas Gutmann
Was aber, wenn jemand zwar willens, aber nicht in der Lage ist, online zu buchen, nicht vom heimischen Rechner aus und schon gar nicht per Handy – mega QR-Pixelcode am Einlass hin oder her? Oder wenn einer für einen simplen Freibad-Besuch keinen Bock hat auf Online und Stadtbad-App und Paypal und den ganzen Driss? Kommt er dann zum Beispiel an Wochentagen vor 14 und nach 16 Uhr trotzdem ins Freibad?
Auf ihrer Internet-Seite rät die SGL zum Ticketkauf „auf Vorrat“. Und wenn der aufgebraucht ist? Oder man – noch ohne Billett – spontan schwimmen möchte? Oder die Empfehlung ins Leere läuft, weil man eben ein Offliner ist? Auch dann werde sich schon ein Weg ins Freibad finden, hieß es bei der SGL vor zwei Wochen.
Am Mittwochmorgen machten wir die Probe aufs Exempel. Unfreiwillig, weil das zu Saisonbeginn gelöste Zehnerticket sich daheim in Benrath befand statt wie üblich im Portemonnaie. Und damit das klar ist: Wir haben dieses Zehnerticket nicht zufällig. Das Langenfelder Freibad ist 1A, top Becken, sauber, preiswert, großzügige Öffnungszeiten, freundliches Personal. Freundlich wie der junge Freibad-Mitarbeiter, der am Mittwoch um 8.15 Uhr am Einlass mit dem dicken QR-Code saß.
Freundlich, aber ein Digital Native. In den Augen dieses jungen Mannes erscheint es vermutlich komplett lebensfremd, etwas NICHT online zu buchen. Etwa so, als würde man mit der Postkutsche daherkommen statt auf einem modernen Tourenbike. Zehnerticket vergessen? „Dann buchen Sie doch einfach online ein neues.“ Sagt‘s und zeigt auf das Pixel-Rechteck am Zaun. – „Äh, nee. Mit Paypal und so hab ich‘s nicht so. Heißt das, ich komme hier offline jetzt nicht rein?“ – „Nein. Dann müssen Sie an der Kasse zahlen.“ – „Die ist aber zu. Wann öffnet die denn?“ – „Ich glaube, so um zwölf.“
Das war‘s dann mit dem Frühschwimmer-Glück an diesem Mittwoch. Eine ältere Dame, die das Glück bereits hinter sich hatte („Herrlich!) und den Zinnober am Einlass mitbekam, schüttelte solidarisch den Kopf über die mangelnde Flexibilität der SGL in diesen automatenlosen Wochen: Warum keine improvisierte Handkasse? So viele Offliner sind es doch auch nicht, die bei bedecktem Himmel Einlass begehren.
Seit wann können Menschen QR-Codes lesen? Hinweisschild in der Stadtmitte zur Monheim Triennale. Das Dumme nur, auch für die Ausstellungsmacher: Einige Klangkunstwerke sind ohne Erklärung geradezu nicht existent.
Foto: Thomas Gutmann
Abdruck des Artikels vom Autor genehmigt
Online-Schwellen sind indes keine Langenfelder Spezialität. Sie gibt es auch in Monheim. Aktuelles Beispiel: die Triennale. Die vierwöchige Klangkunst-Ausstellung, die am Sonntag zu Ende geht, ist so konzipiert, dass das eigene Smartphone wie ein Guide funktioniert. Dagegen ist überhaupt nichts zu sagen. Das ist zeitgemäß und eröffnet neue Möglichkeiten, für Künstler, Kuratoren und Publikum. Doch muss man Offlinern deshalb nahezu komplett den intellektuellen Zugang zu der ausgestellten Klangkunst vernageln?
Etliche der knapp 20 „Klangskulpturen“ und Installationen sind ohne Erläuterung nahezu nicht existent. Die Geräusche etwa, die die Berliner Kunstprofessorin Christina Kubisch dem Umspannwerk am Mehlpfad entlockt, sind für unvorbereitete Ohren bloß ein Gebrumme. Spötter mögen ätzen, ein Gebrumme bleibt das auch im Wissen um den Anspruch der Künstlerin, aus Elektrizität eine klangliche Komposition („Hidden Waves“) geschaffen zu haben. Doch warum findet sich am Umspannwerk keine Tafel mit Minimal-Erläuterung für Ausstellungsbesucher ohne Smartphone oder Triennale-App?
Das gleiche Bild ganz in der Nähe, im Marienburgpark, wo sich das für das breite Publikum wohl eingängigste Triennale-Exponat befindet, mit Ulla-Hahn-Märchenbrunnen,
Mädchen-Skulptur, Häuschen und Gans. Diese „Yes There No Where“-Installation von Robert Wilson ist optisch ansprechend und bleibt den Monheimern glücklicherweise über die Triennale hinaus erhalten. Doch seit wann können Menschen QR-Codes lesen? Und haben nicht auch Steuerzahler ohne flinke Smartphone-Finger das Recht zu einem Zugang zu Kunst, die die Stadt auf ihre Kosten „spendiert“?